 Edvard Munch, Zugrauch, 1900. Öl auf Leinwand, 84,5 x 109 cm, Munchmuseet, Oslo.
|
| 
|
Montag, 10. Februar 2025 / 17:28:05

Nordlichter
Die Fondation Beyeler präsentiert die Ausstellung «Nordlichter», die sich der faszinierenden Landschaftsmalerei des Nordens widmet. Rund 70 Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus Skandinavien, Finnland und Kanada, entstanden zwischen 1880 und 1930, entführen die Besuchenden in die magische Welt des borealen Waldes.
Diese Künstler teilen eine gemeinsame Inspirationsquelle: die Natur des Nordens, insbesondere den borealen Wald. Die scheinbar unendlichen Wälder, das strahlende Licht der im Sommer nahezu endlosen Tage, die langen Nächte im Winter und Naturphänomene wie das Nordlicht haben eine eigenständige moderne nordische Malerei hervorgebracht, die eine besondere Anziehungskraft und Faszination ausübt. Zu sehen sind Landschaftsgemälde von Helmi Biese, Anna Boberg, Emily Carr, Prinz Eugen, Gustaf Fjæstad, Akseli Gallen-Kallela, Lawren S. Harris, Hilma af Klint, J. E. H. MacDonald, Edvard Munch, Iwan Schischkin, Harald Sohlberg und Tom Thomson. Viele dieser Künstlerinnen und Künstler sind in ihren Heimatländern bekannt, während sie für die meisten Besucher hierzulande spannende Neuentdeckungen darstellen. Es ist das erste Mal, dass diesem Thema in Europa eine eigene Ausstellung gewidmet wird.
Die Weiten des borealen Waldes
Der boreale Wald, auch als Taiga oder Waldtaiga bekannt, ist der grösste Urwald der Erde und spielt eine entscheidende Rolle für das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten. Geprägt von dichten Nadelwäldern erstreckt er sich südlich und nördlich des Polarkreises über weite Teile Skandinaviens, Finnlands, Russlands und Kanadas. Ihn zu erleben ist überwältigend, allein aufgrund seiner unermesslichen Einheitlichkeit und gewaltigen Ausdehnung. Auf fast allen Gemälden in der Ausstellung nimmt der boreale Nadelwald eine zentrale Rolle ein. Nur Anna Boberg und in seinen späteren Arbeiten Lawren S. Harris haben Landschaften nördlich der Baumgrenze in der Tundra oder gar im ewigen Eis der Arktis dargestellt.
Ein weiteres prägendes Element dieser intensiven nordischen Landschaft ist das Wasser der unzähligen Seen und Fjorde, das auf den Gemälden oft ein horizontales Gegengewicht zu den senkrechten Bäumen des Waldes bildet und wie besonders in den Werken von Helmi Biese und Akseli Gallen-Kallela den Wind sichtbar macht, der die Wasseroberfläche ständig verändert. Neben dem Schnee, der das Landschaftsbild von Ende Oktober bis April prägt, ist das Licht ein weiteres wiederkehrendes Motiv: die mystischen Polarlichter, die in leuchtenden Farben den Himmel erhellen; die klaren Sommertage, an denen es niemals ganz dunkel wird; die Mittsommersonne sowie im Winter die Dunkelheit der endlos langen Nächte. Diese Naturphänomene wurden von den Künstlerinnen und Künstlern nicht nur als Motive wahrgenommen, sondern auch als lebendige Kraft, die ihr Schaffen massgeblich beeinflusste. So hielten sie nicht lediglich das Gesehene in ihren Werken fest, sondern gaben auch emotionalen Erlebnissen Ausdruck in Bildern, die die Betrachter in die Weiten des borealen Waldes entführen und zum Nachdenken über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur anregen.
Die einzigartige Atmosphäre des Nordens, geprägt von extremen klimatischen Bedingungen, hat Künstler:innen seit Jahrhunderten fasziniert und inspiriert. Im Norden entwickelte eine junge Generation von Malerinnen und Malern neue Ansätze zur bildlichen Darstellung der Natur. Was die Künstlerinnen und Künstler in dieser Ausstellung vereint, ist die Intensität ihrer Maltechnik, die der Intensität der Natur zu entsprechen scheint. Durch eine leuchtende Farbpalette, expressive Pinselstriche, unkonventionelle kompositorische und perspektivische Verzerrungen sowie den Einsatz psychologischer Elemente versuchten sie oft auch durch die schiere Grösse ihrer Werke, die jahreszeitlich bedingten Extreme des natürlichen Lichts und die gewaltigen Ausmasse der nördlichen Wildnis visuell einzufangen.
Die Ausstellung folgt keiner speziellen zeitlichen Abfolge: Die Räume sind den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern gewidmet sowie der Art und Weise, wie sie der sie umgebenden Natur begegneten und diese in ihre persönliche Vorstellung von Landschaft verwandelten. Unter den ausstellenden Künstler:innen geniessen lediglich der Norweger Edvard Munch, der Finne Akseli Gallen-Kallela und die Schwedin Hilma af Klint internationale Bekanntheit. Darüber hinaus vereint «Nordlichter» eine Gruppe von Malern und Malerinnen, die in ihren Heimatländern zwar hoch geschätzt werden, jedoch eine stärkere weltweite Beachtung verdienen, darunter die Finnin Helmi Biese, der Norweger Harald Sohlberg sowie die schwedischen Künstler Gustaf Fjæstad, Anna Boberg und Prinz Eugen sowie die Kanadier:innen Emily Carr, Lawren S. Harris und Tom Thomson.
Einflüsse
Die Maler:innen des Nordens schöpften ihre Inspiration sowohl aus den unterschiedlichen überlieferten Bildtraditionen als auch aus den zeitgleich von Kontinentaleuropa ausgehenden avantgardistischen Bewegungen. Bedeutende Künstler der Moderne wie Vincent van Gogh, Claude Monet, Paul Cézanne und Henri Matisse hinterliessen ebenfalls ihren Einfluss auf die moderne Landschaftsmalerei des Nordens und eröffneten neue Perspektiven hinsichtlich Farbe, Licht und Form. Während die nordischen Maler und Malerinnen diese Konzepte aufgriffen, interpretierten sie sie jedoch auf ihre eigene, unverwechselbare Art. Sie entwickelten eine spezifisch nordische Moderne, die keinen einheitlichen Stil repräsentiert, sondern vielmehr ein Ethos verkörpert, das die raue Natur in ihrer gesamten Erhabenheit und ihren Feinheiten würdigt.
Im Zeitraum von 1870 bis 1920 erlebte die nordische Malerei eine künstlerische Hochblüte. Eine beeindruckende Vielfalt an Bildern entstand. Die Moderne war geprägt von einem Streben nach Freiheit, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, was dazu führte, dass die Künstler:innen neue Wege beschritten. Eines der zentralen Merkmale insbesondere der finnischen und schwedischen Malerei scheint der Blick von oben zu sein: weite Landschaften, bei denen man den Eindruck hat, als wäre eine Drohne beim Malen im Einsatz gewesen. Helmi Biese sowie Akseli Gallen-Kallela, Anna Boberg oder Prinz Eugen wählten häufig diese Perspektive, als wollten sie damit verdeutlichen, dass sie die Natur in ihren Werken nicht nur nachahmten, sondern selbst erschufen.
Auffällig ist, dass in den ausgestellten Landschaften oft eine Natur dargestellt wird, in der der Mensch nur am Rande vorkommt. Dennoch sind Menschen indirekt präsent: etwa in Edvard Munchs Seelenlandschaften, in seinen gemalten Schatten oder dem sich verflüchtigenden Rauch der Eisenbahn. Bei Gustaf Fjæstads panoramatischem Detailblick sind es die Fussspuren im Schnee, die darauf hinweisen, wie vergänglich Menschen im Vergleich zur ewigen Natur sind. Möglicherweise hängt die Abwesenheit des Menschen auch damit zusammen, dass die nordischen Maler:innen von dem Gedanken geleitet waren, in ihren Gemälden ein idealisiertes Sehnsuchtsbild einer unberührten Natur heraufzubeschwören.
Das Buffalo AKG Art Museum spielte eine bedeutende Rolle in der Geschichte der nordischen Moderne in Kanada. Im Jahr 1913 präsentierte das Museum die wegweisende Ausstellung «Contemporary Scandinavian Art», die auch in anderen nordamerikanischen Städten gezeigt wurde. Erstmals waren in Nordamerika Werke zeitgenössischer skandinavischer Künstler:innen in einer umfassenden Gruppenausstellung zu sehen. Zu den Besuchern zählten die kanadischen Maler Lawren S. Harris und J. E. H. MacDonald, deren Werke ebenfalls Teil dieser Ausstellung waren. Ihre Eindrücke von der skandinavischen Malerei sollten einige Jahre später ihre Mitgründung der «Group of Seven» - einer Künstlergruppe, die in Kanada der modernen Malerei den Weg ebnete - nachhaltig prägen.
Der betrachtete Zeitraum umfasst nicht nur die kulturhistorische Epoche der Moderne, in welcher bestehende Traditionen systematisch hinterfragt wurden. Geopolitisch betrachtet formierten sich während dieser Zeit im Norden neue Nationalstaaten, begleitet vom intensiven Ringen um nationale Identität. Künstler:innen inszenierten ihre Heimat und deren Naturräume als Sinnbilder nationaler Identität und kulturellen Erbes. Die eindrucksvollen Naturmotive wurden oft als Symbole für die nationale Seele und Verbundenheit mit der eigenen Kultur gedeutet.
Mit «Nordlichter» setzt die Fondation Beyeler eine lange Tradition von Ausstellungen zur modernen Landschaftsmalerei fort, zu denen auch Präsentationen über Gustave Courbet, Ferdinand Hodler, Piet Mondrian, Claude Monet und Giovanni Segantini gehören. Nun erweitert die Fondation Beyeler diese südlich-alpine Perspektive um eine nordische Sichtweise und erinnert daran, dass sie 2007 die bis dahin grösste Ausstellung von Edvard Munchs Werk ausserhalb Norwegens ausrichtete.
Im Auftrag der Fondation Beyeler hat der zeitgenössische dänische Künstler Jakob Kudsk Steensen (*1987) eine neue digitale Installation geschaffen, die begleitend zur Ausstellung Premiere feiern wird. In «Boreal Dreams» setzt sich der Künstler mit den Auswirkungen der Klimakrise auf das Ökosystem der borealen Zone auseinander und kreiert virtuelle Landschaften basierend auf wissenschaftlicher Datenerhebung aus Feldforschung und Gaming-Technologie.
Ein reichhaltig illustrierter Ausstellungskatalog, herausgegeben von Ulf Küster für die Fondation Beyeler und gestaltet von Melanie Mues (Mues Design) aus London, erscheint begleitend zur Ausstellung im Hatje Cantz Verlag in Berlin. Der Katalog umfasst 240 Seiten und enthält Beiträge von Katerina Atanassova, Louise Bannwarth, Helga Christoffersen, Ulf Küster, Angela Lampe sowie Anne-Maria Pennonen.
Fondation Beyeler
Das Museum in Riehen bei Basel ist international bekannt für seine hochkarätigen Ausstellungen, seine bedeutende Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst sowie sein ambitioniertes Veranstaltungsprogramm. Das von Renzo Piano entworfene Museumsgebäude ist idyllisch im Park mit seinem alten Baumbestand und den Seerosenteichen gelegen. Die Lage inmitten eines Naherholungsgebiets mit Aussicht auf Kornfelder, Kuhweiden und Rebberge an den Ausläufern des Schwarzwalds ist einzigartig. Im angrenzenden Park realisiert die Fondation Beyeler mit dem Schweizer Architekten Peter Zumthor einen Museumsneubau und verstärkt so die harmonische Verbindung von Kunst, Architektur und Natur.
Nordlichter
Bis zum 25.05.2025
Fondation Beyeler
Baselstrasse 101
CH-4125 Riehen/Basel
Tel. +41 61 645 97 00
Fax +41 61 645 97 19
info@fondationbeyeler.ch
Öffnungszeiten:
Montag bis Sonntag 10-18 Uhr
Mittwochs 10-20 Uhr
fest (Quelle: pd)
Artikel per E-Mail versenden
Druckversion anzeigen
Newsfeed abonnieren
Links zum Artikel:
Nordlichter Im Fokus der Ausstellung «Nordlichter» stehen 74 Landschaftsgemälde von Künstlerinnen und Künstlern aus Skandinavien und Kanada, die zwischen 1888 und 1937 entstanden sind
Boreal Dreams Eine neue digitale Installation des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen (*1987), die begleitend zur Ausstellung gezeigt wird.
|